Patrioten, Marcel Hirscher & die ganz große Liebe

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Unlängst, in einem Cafè im steirischen Bad Gleichenberg. Es ist 10 Uhr, die holde Maid weilt im Urlaub, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es keinerlei Genusseinschränkungen für mich gibt. Die Kellnerin kommt, ein kurzer Flirt fürs Selbstbewusstsein und schon ist meine Mischung (Übersetzung für Nichtsteirer: Weißwein mit prickelndem Mineralwasser) bestellt. An nichts Schlechtes denkend widme ich mich dem Entstauben meines Gedankenpalasts, konkret dem kommenden Thrillerprojekt, als mir eine Lederhose die Sonne nimmt.

Lederhose: Tschuldigung, Herr Neeeehhhhssssl?

Neeeehhhhsssl: Ist falsch ausgesprochen, heißt NESSL, aber macht ja nix, was kann ich für Sie tun?

Lederhose: Ich wollte nur fragen warum ihre Bücher so unpatriotisch sind?

Neeehhhsssslll: Bitte was? Wie kommen’s denn darauf? Besser gesagt, was gefällt Ihnen denn konkret nicht?

Lederhose: Da kommt kein Stolz, keine Heimatliebe ‚rüber! Sie sind doch auch Steira! Da schreibt man doch nicht schlecht über sein Land.

Neehhhssslll: Tu ich in meinen Augen gar nicht. Kritisch vielleicht aber doch nicht….(werde unterbrochen)

Lederhose: Eben! Lassen Sie das Herr Neeehhhssslll! Dann verkaufens auch mehr!

Neeehhssll: Aber...(werde erneut unterbrochen)

Lederhose: Nein, ich wollte ihnen das nur einmal sagen! Nehmens an gutn Rat an! Wiederschaun Herr Neeehhhsslll!

Tja, so schnell wie Lederhose gekommen war, war sie wieder entschwunden. Was war denn das für einer gewesen? Meine Thrillerarbeiten konnte ich jedenfalls vergessen – schließlich wurde mir gerade vorgeworfen, nicht patriotisch genug zu schreiben, was bedeutet keiner zu sein. Hmmm….Patriot also……das Antonym wäre Kollaborateur, Landesverräter usw. Nachdem letztere Begriffe eindeutig negativ besetzt sind, muss für den Patrioten wohl Positives gelten. Was also zeichnet einen solchen aus? Wo hat er seine Wurzeln?

Patrioten lieben das Land auf dem sie leben, was selten bis nie mit einem entsprechenden Grundbucheintrag in Verbindung steht. Sie lieben demnach auch fremdes Land. Sogar wenn sie dieses nicht betreten dürfen, weil – und das ist entscheidend – weder Besitz noch Nutzung für die Heimatliebe ausschlaggebend sind. Zumindest nicht auf persönlicher Ebene. Es geht vielmehr um historisch hergeleitete Rechte zur exklusiven Besiedelung einer Region. Gemeinsamer Boden eint Bevölkerungsgruppen zumVolk, zum Staat, zur Nation. Nun braucht der Mensch gewöhnlich die Ausseindersetzung, den Krieg, bis irgendetwas zusammenwächst. Dabei eint persönliche Entbehrung am besten, stellt sie doch das Miteinander als Überlebensnotwendigkeit in den Vordergrund. Man muss mit dem Gegenüber sprechen, lernt sich kennen und verstehen, hat gemeinsame Interessen und bildet nach und nach gemeinsame Gesinnung und Werte aus. In diesem Prozess nimmt die Dynamik innerhalb des neu geschaffene Kollektivs rasant an Fahrt auf. Gebündeltes Knowhow und vereinte Vielfalt in einem normierten Kollektiv schaffen sowohl Wohlstand als auch Wohlbefinden. Auf diesem Erfolg aufbauend, greift nun die Erhabenheit des „WIR-Gefühls“ um sich. Dabei schwinden die Erinnerungen an die Diversität der Vergangenheit und werden durch Dankbarkeit und Liebe zur Gegenwärtigkeit des Kollektivs ersetzt. Dieses homogene WIR, Basis allen Guten, kann im Umkehrschluss nur von AUSSEN bedroht werden. Je stärker nun die Wahrnehmung einer Bedrohung desto größer die Schutzbedürftigkeit des WIR’s. Und genau hier beginnen die Kernaufgaben eines Patrioten. Er muss sich, heißt seine Menschen, bedeutet sein Volk samt Land, kurz alles was er kennen und lieben gelernt hat, fördern und schützen. Bis zum Tod. Das hehre Ziel rechtfertigt dabei jedwedes Mittel, jedweden Preis.

Erlebt hat das unlängst der deutsche Olympiasieger im Diskuswurf, Christoph Harting. Als dieser während des Abspielens der Nationalhymne nicht stramm-steif stehend, andächtig den Text des Deutschlandliedes menstruierte, sondern stattdessen den Pausenclown mimte, gabs vom Bouldevard ordentlich eins auf die Mütze. Erfolgsprämien des Deutschen Olympischen Sportbunds wurden gestrichen und der gebrandmarkte Vaterlandsverräter musste sich öffentlichkeitswirksam entschuldigen. Antipatriotische Gesinnung war dabei noch das Geringste, was man ihm vorgeworfen hatte. Ganz abgesehen davon ob Sportler in der Öffentlichkeit verpflichtend patriotisch auftreten sollten oder nicht, ist es doch die Empörung der Zivilgesellschaft die schockierende Ausmaße angenommen hat. Beispiel Österreich: Wenn Marcel Hirscher das gefühlt 30.000ste Weltcuprennen gewinnt, so gewinnt er das zuallererst für sich. Seine Entbehrung, sein Einsatz, seine Athletik, seine Arbeit, sein Erfolg. Nicht der meine, den ich mit einer Kiste Bier vom Fernseher feier, nicht der unsere als Nation. Schon gar nicht aber der Erfolg der ORF-Kommentatoren die neudings nur noch im kollektiven WIR sprechen. Überhaupt kann man sich als Beobachter nicht des Verdachts verwehren, dass Hans Krankl samt Patriotismus-Spritze zum Haus- und Hofmediziner des Wiener Küniglbergs befördert wurde. Abgesehen vom ehemalig genialen Barca-Stürmer und erfolglosem Nationaltrainer stellt sich doch die Frage – wie gut ist Patriotismus eigentlich?

Patrioten-Bingo:

Es waren allesamt Patrioten die uns in jahrhundertelangen Kämpfen die Demokratie brachten. Eine Gesellschaftsordnung die auf der Freiheit und Gleichheit des Individuums aufbaut. Gute Patrioten!

Selbstverständlich waren es aber ebenfalls Patrioten die sich in Massen der NS-Ideologie anschlossen (und das wohl wieder tun würden). Patrioten zertrümmerten jüdische Geschäfte und zündeten Synagogen (heute Moscheen) an. Es waren eingetragene Patrioten, die gleichermaßen Ankläger, Richter, Henker und frenetisches Publikum des Holocaust waren. Schlechte Patrioten!

Demgegenüber steht Graf von Stauffenberg, berühmt geworden durch das gescheiterte Hitlerattentat, ebenfalls Patriot. Diverse Widerstandsbewegungen, die Weiße Rose um die Geschwister Scholl zum Beispiel, waren per Eigendefinition, ja sie wissen es schon, Patrioten oder wurden zu späterer Zeit als solche verehrt. Gute Patrioten!

Und wie stehts um diverse Atttentäter? Anders Breivik metzelte ein sozialistisches Jugendcamp nieder. Der Ex-Marine Lee Harvey Oswald tötete JFK. Die Hinterbliebenen von Opfern Osama bin Ladens,  bzw.  9 von 10 Terroristen weltweit, können sich damit trösten ihre Lieben zumindest an einen, wenn auch schlechten, Patrioten verloren zu haben.

Beispiel Armeen: Sie bestehen zu großen Teilen, man könnte sagen bataillonsweise, aus Patrioten. Zumindest wissen das die Grabsteine am wohl berühmtesten US-Soldatenfriedhof  „Arlington“ zu berichten. Wenn schon nicht zu Lebzeiten, so wird aus dem armen Teufel der im Irak für Erdöl die Seinigen beschützt hat, wenigstens im Tod ein Held, ein Patriot. Bei all den kleinen und großen Kriegen weltweit, sterben täglich wohl mehrer tausend Patrioten im Kampf gegeneinander. Gute und schlechte!?

Historisch lässt sich dazu nur festhalten, dass die Bewertung in gute und schlechte Patrioten einerseits eine 100%  zeitgeistliche ist (siehe Ambivalenz – Hitler und Stauffenberg), die sich zudem am Gewinner orientiert und anderseits nur für den Einzellfall gilt.

Den Beweis aber, dass ein Volk aus Patrioten mittel- bis langfristig zu Krieg und Zerstörung führt, hat die Geschichte sehr wohl angetreten.

Im Zweifel also, sehr geehrter Herr Lederhose, freue ich mich weiter über humanistische, sportliche, wissen- und wirtschaftliche Erfolge gesellschaftlichen Protagonisten und schreibe einfach weiter wie bisher…..auch wenn dabei „kein Stolz, keine Heimatliebe ‚rüberkommt!“

 

(c) Photo: Gerald FLOR

(c) Text: Michael NEHSL

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