Töten & leben lassen – Das Fischerbräu….

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Zwischen Hochnäsigkeit und plumpem Charme – Wien – ist meine Daueraffäre die ich oft verstoßen und noch öfters zurückerobert habe. Wenn wir uns dann doch sehen, besuche ich gerne das Fischerbräu, die Gasthofbrauerei im 19ten!
Es ist Freitag, 16:30 Uhr. Noch ist weder ein Taekwondo-Grundkurs noch eine Reservierung erforderlich um im Gastgarten meinen Beobachtungsposten beziehen zu können. Auch der selbstgebraute Gerstensaft ist schnell geordert als mein Blick auf einen Zweiertisch fällt:

 

  • Am Zweiertisch: Der Konzipient, die arme Sau die über drei Jahre 70 Wochenstunden einem überbezahlten Rechtsanwalt zuarbeiten muss um hoffentlich mal selbst ein solcher zu werden, nimmt gestresst die Krawatte ab. Ruhe. Endlich Ruhe. Sein, nun ungewollt aufgestellter, Hemdkragen conchitat sich ins, vom Wochenschweiß gezeichnetes, Sakko. Unruhig fährt er sich durchs Haar. Er sieht sein Gegenüber an. Der ist kein Gegner, kein Maßstab, er kann es sich leisten dezent in der Nase zu bohren – mit dem rechten Ringfinger. Ein Ehering blitzt auf. Verpflichtungen. Zukunftsangst. Egal, Hauptsache Wochenende. Wenigstens jetzt, bevor es samstags nochmal ins Büro geht.
  • Zur Linken: Jetzt sind aus drei Biertrinkern schon deren fünf geworden. Lustige Männer, um die dreißig oder gut erhaltene vierzig. Sie scherzen, der Neuankömmling überreicht einem der Alteingesessenen ein Blumengesteck. Schön, vielleicht etwas ungewöhnlich aber schön. Der Beschenkte freut sich sichtlich. Anscheinend ein Blumenliebhaber, möglicherweise Florist. Warum nicht?! Die Welt braucht mehr biertrinkende Floristen – die gerade geküsst werden, auf den Mund, ein männlicher Bieraustauschkuss, krasse Scheiße.
  • Unterm Kastanienbaum: Die Ereignisse überschlagen sich. Ein überdimensionierter Unterkiefer, eine Riesenvisage mit Hauern die jedem Wildschwein zur Ehre genügen würden, blendet mich. Morettis Bruder, gar nicht bloeb, hat das Lokal betreten. Was für ein Mann! Wirkt in real noch viel sympathischer als im Film. Könnte glatt den Werwolf in einem Hollywood-Vampirromanzen-Unterschichten-Blogbusterkinofilm geben. Ich zertrete eine Ameise.
  • Am Zweiertisch: Das viel zu enge, die Kulturwampe nicht ausreichend bedeckende T-Shirt hat sich gefährlich hoch gezogen und gibt den Blick auf den Breitbandarsch des Mannes frei, der wohl ein Art ehemaliger Nachbar des nunmehrigen Konzipienten ist. Wahrscheinlich stammen beide ursprünglich aus der selben Provinz. Das obere Murtal käme dafür in Betracht. Er hat es eher nicht zum Akademiker geschafft, auch egal, sind heutzutage eh überbewertet, womöglich ein Lagerlogistiker. Und Kettenraucher. Sichtbarer Bewunderer seines Freundes, wenngleich er das stets untertänige Nicken, intervallmäßig mit aufdringlichem, lauten Lachen zu kaschieren versucht. War früher sicher der Lässigere des Duos, heute aber scheint er dem ihm vorgehaltenen Spiegel kaum ertragen zu können. Die Fielmannbrille gibt den Blick auf all jenes frei, was ihm unerreichbar scheint. Und ist. Trauer. Liebe. Töte erneut eine Ameise.
  • Zur Linken: Musste kurz das Abwassersystem belasten. Schwules Geburtstagskind wird mit links-rechts-links Bussis verabschiedet. Sieht aus wie ein gescheiterter Architekt, womöglich Innenraumdesigner. Bin von schwulen Biertrinkern enttäuscht. Keine Action. So normal, fast noch normaler, wie andere Biertrinker. Homosexualität ist die neue Normalität. Gut so! Was wohl der Papst dazu sagt? Keine Ahnung, soll der sich mal drum kümmern, dass hier in den letzten zwei Stunden locker sieben Schweine und drei Kühe verputzt wurden. Wahnsinn! Grausig. Bekomme Lust auf Schnitzel.

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  • Unterm Kastanienbaum: Moretti 2.2, nun offiziell zum Gregor ernannt, kämpft mit den Pommes die sein Sohn ständig auszuspucken versucht. Stardoubles haben eben auch ganz normale, schwule, Alltagssorgen. Derweilen fixiert mich sein aggressiv anmutender Yorkshire-Terrier. Ich starre zurück. Er disst mich. Agent Provocateur! Jetzt geht’s um die Wurst. Nicht nachgeben – „stare him down“ – feure ich mich selbst an. Die Ruhe vor dem Sturm! Der Terrier hebt souverän seinen Hinterlauf und uriniert an Gregors Stuhlbein. Terrrier 1 – Michael 0! Würde nie an Morettis Stuhl sägen oder pinkeln.
  • Am Zweiertisch: Lagerlogistiker verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Nur kurz, für den Bruchteil einer Minute, dann bricht er die souveränen Pose wieder ab. Rudert zurück. Schüchternheit. Tristesse. Der Anwalt in spe, der er wahrscheinlich nie sein wird, hingegen, greift nun auch nach der Zigarette die ihm gereicht. Dem Rauchen hat er schon vor längerer Zeit abgeschworen. Zumindest hat er das seiner Frau erzählt. Seine Frau, der Säugling – Druck. Mit jedem seiner langen, großen Schlücke spült er ein wenig der Alltagssorgen hinweg. Seinem Freund geht’s immerhin noch schlechter. Der hat gar nichts, nicht mal Sorgen. Wenigstens etwas. Beide verlassen das Lokal. Werden ersetzt. Same procedure as every day.
  • Zur Linken: Frau, Mitte 40, betritt mit zwei Söhnen (ca. 5 und 8 Jahre) das Lokal. Im Schlepptau den Freund, sieht aus wie 30, maximal 30,2. Die Mutter managt alles, ihr Partner sitzt still neben ihr, sieht flehend, wie ein Rehkitz im Angesicht eines zähnefletschenden Wolfes, in meine Richtung während er sich von ihr sein Bier bestellen lässt. Ob so eine Mutterfigur mit der man schlafen kann vielleicht ganz praktisch ist? Würde ihn dazu gerne interviewen, ersticke den Versuch aber im Keim, die Sorge körperlicher Gewaltanwendung ausgesetzt zu werden ist Spross meiner Passivität. Töte dafür eine Ameise. Soviel zum guten Karma.
  • Unterm Kastanienbaum: Indes wirft Gregor Junior mit einer schnellen Handbewegung seine Pommes Frittes vom Teller. Genervt steht die Mutter auf, bückt sich, ihre Intention ist klar, zumindest für Junior. Gewieft wartet der kleine Racker bis sich das Muttertier gebückt, ihre ganze Aufmerksamkeit den frittierten Industriekartoffelstücken gewidmet hat. Dann wischt er blitzschnell auch den Teller vom Kindertisch, der daraufhin kurz von Mutters Schädel abprallt und neben den Pommes zum Erliegen kommt. Auch ein Statement! Gregor regiert souverän, eigentlich gar nicht – Stardouble eben.
  • Zur Linken: Jungvater mit (relativ) altem Weibe sieht unglücklich aus. Sehnt sich offensichtlich nach einem Paralleluniversumsfreitag an dem er mit Kumpels säuft und ohne Erfolg versucht, 20jährige aufzureißen, was er nicht mal dort schafft. Gähnend blickt ihn seine Frau an, sie wirkt abgekämpft, spielt dennoch verliebt mit ihren Haarsträhnen. Sie weiß wo er gedanklich ist, will ihn abholen, will hart Erarbeitetes behalten. Lieber eine Illusion leben als gar nicht zu leben. Drei Kinder müssen gefüttert, zwei ins Bett gebracht und mit einem geschlafen werden. Anstrengung, Liebe, Spareribs Trost.
  • Unterm Kastanienbaum: Moretti-Gregor2.2-Junior wirft mit Kieselsteinen in Richtung des iPads seines Kleinkindfreundes. Recht hat er! Müssen sich Dreijährige wirklich schon mit „Best-Brain-Trainee-Programmen“ beschäftigen? Ohne auf Antworten zu warten wirft Junior mit Steinen nach seiner Mutter. Ein Glashaus wäre hilfreich. Der Gastgarten ist nun bis auf den letzten Platz gefüllt. Ungeachtet des Eintreffens von Jup Heynckes und Danny DeVito verlässt Gregor & Co den Gastgarten.

 

„Ich gehe auch, ist abnormal laut geworden, wären doch alle so fein homosexuell, die Welt wäre eine bessere.“

Ihr/Dein

Michael Nehsl

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